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ImmobilienkriminalitĂ€t in Berlin Wie ein Rentnerpaar sein Haus beinahe an den Abou-Chaker-Clan verlor In Berlin sollen zwei Abou-Chaker-BrĂŒder und ihre deutschen Kumpane versucht haben, einem Rentnerpaar ein Mehrfamilienhaus zu klauen: Sie ließen sich dreist im Grundbuch eintragen. Doch dann wendete sich das Blatt.

Von
Guido Mingels, Thomas Heise und Claas Meyer-Heuer

15.10.2021, 13.00 Uhr o aus DER SPIEGEL 42/2021

Der Brief kam unerwartet. Und was darauf folgte, ließ die Hamburger Eheleute Johann-Conrad SchĂ€fer und Hiltrud Marschner-SchĂ€fer ihren Glauben an den Rechtsstaat und an seine Verwaltung verlieren. Es war einer der GrĂŒnde fĂŒr eine spĂ€tere Großrazzia im Clanmilieu und brachte zwei Mitglieder der polizeibekannten Großfamilie Abou-Chaker und ihre deutschen Komplizen vor Gericht und drei von ihnen in Untersuchungshaft. Was darauf geschah, ist außerdem geeignet, das Ansehen einer grundlegenden staatlichen Institution nachhaltig zu beschĂ€digen: des Grundbuchs.

Die BetrĂŒger gerieten bei ihnen an die Falschen: Hiltrud Marschner-SchĂ€fer und Johann-Conrad SchĂ€fer
Foto: Jörg MĂŒller / DER SPIEGEL

In diesem amtlichen Register steht verbrieft, welches GrundstĂŒck und welches Haus welchem BĂŒrger gehört. Es ist so etwas wie die Bibel des Privateigentums. Johann-Conrad SchĂ€fer sagt: "Das Grundbuch muss stimmen. Dieses Buch schafft Fakten." Und die Fakten waren geschaffen, die SchĂ€fers wussten es nur noch nicht.

Der Brief der FeuersozietĂ€t Berlin-Brandenburg, bei der das Ehepaar sein Mietshaus an der Berliner Voigtstraße seit vielen Jahren versichert hatte, erreichte die beiden am 4. Januar 2020. Darin stand, dass die Versicherung fĂŒr ihr Haus in Friedrichshain, welches das Paar nach der Wende erworben und seither selbst verwaltet hatte, zum 1. Januar 2020 beendet sei. Warum? Was ging da vor? Es konnte nur ein Irrtum sein. SchĂ€fer, ratlos, rief bei der Versicherung an. "Weil Sie nicht mehr EigentĂŒmer sind", sagte der Mitarbeiter am Telefon. "Was? Wie kommen Sie darauf?", fragte SchĂ€fer nach. Nach PrĂŒfung seiner Unterlagen erklĂ€rte der Mann, so schildert es SchĂ€fer: "Sie haben das Objekt doch verkauft."

Rabih Abou-Chaker wird bei einer Großrazzia in Berlin im Dezember 2020 festgenommen
Foto: Mario Firyn / BILD

Wenn die SchĂ€fers, beide 80 Jahre alt, in ihrem Wohnhaus in Hamburg ihre Geschichte erzĂ€hlen, dabei Leitz-Ordner um Leitz-Ordner mit Akten zum Fall herbeischleppend, schwanken sie zwischen Empörung und Belustigung ĂŒber die Ungeheuerlichkeiten, die ihnen in den vergangenen zwei Jahren widerfahren sind.

"Ich kann es manchmal noch immer nicht glauben", sagt Hiltrud Marschner-SchĂ€fer, eine pensionierte FachĂ€rztin. Bald nach dem Brief erfuhren die beiden, dass sie tatsĂ€chlich zwei Monate zuvor, am 6. November 2019, ohne ihr Wissen und ohne ihr Zutun als EigentĂŒmer ihrer Immobilie im Grundbuch von Friedrichshain gelöscht worden waren. Stattdessen war dort auf Blatt 192 N fĂŒr das FlurstĂŒck 347 nun eine "Voigtstraße 41 Grundbesitzgesellschaft mbH" als neuer EigentĂŒmer eingetragen. Von der hatten sie noch nie gehört.

Laiendarsteller gaben sich als Ehepaar SchÀfer aus

Sie wussten auch noch nicht, dass die mutmaßlichen BetrĂŒger Monate zuvor ihre Unterschriften gefĂ€lscht und Personalausweise auf ihre Namen angefertigt hatten. Dass es einen fingierten Kaufvertrag gab. Dass sich zwei Laiendarsteller bei einem Notar als Ehepaar SchĂ€fer ausgegeben hatten. Dass Angehörige des berĂŒchtigten Abou-Chaker-Clans am Deal beteiligt gewesen sein sollen. Dass sie, die SchĂ€fers, den Erhalt des Kaufpreises, der mit 250.000 Euro lĂ€cherlich tief angesetzt war, auf einem gefĂ€lschten Schreiben dankend bestĂ€tigt hatten. Und dass das Haus fĂŒr bis zu sieben Millionen Euro hĂ€tte weiterverkauft werden sollen und es schon Kaufinteressenten gab.

Wie das alles passieren konnte, erklÀrt sich Johann-Conrad SchÀfer so: "Eine hohe verbrecherische Energie traf auf eine leichtfertige Verwaltung."

So energiegeladen wirken sie an diesem Oktobervormittag aber gar nicht, die MĂ€nner, die sich hinter der neuen EigentĂŒmergesellschaft versteckt haben sollen. Jetzt sitzen sie schweigend im prĂ€chtigen Saal 500 des Kriminalgerichts in Moabit, vor ihnen die Richter und die StaatsanwĂ€ltin, es ist nur einer von vielen Verhandlungstagen, das Urteil steht noch aus.

Rechts, gefangen hinter einer dicken Glaswand, ist der akkurat frisierte GeschĂ€ftsmann Rainer Groß zu sehen, 55, der in der Prozessberichterstattung gern "BerufsbetrĂŒger" genannt wird. Links, ebenfalls im Glaskasten, hocken auf ihren StĂŒhlen die BrĂŒder Rabih, 37, und Mohamad Abou-Chaker, 35, Abkömmlinge des bekannten Berliner Familienclans gleichen Namens. Diese drei, jeder x-fach vorbestraft, sitzen seit Dezember vergangenen Jahres in Untersuchungshaft, wĂ€hrend ein vierter Beschuldigter, der Rechtsanwalt und von Fahndern als "Winkeladvokat" apostrophierte Stefan G., 53, von der Haft verschont wurde und seine Verteidigung zuweilen selbst fĂŒhrt.

Die TĂ€ter, wenn die Anklage recht hat, haben ein Haus gekauft, ohne dafĂŒr etwas zu bezahlen, und dies von VerkĂ€ufern, die gar nicht existieren. Es war ein groß angelegtes Manöver, ausgefĂŒhrt mit einer schwer begreiflichen Mischung aus Raffinesse und StĂŒmperei. Und dennoch hĂ€tte nicht viel gefehlt, und die Sache wĂ€re gelungen.

An einer Wand im Haus der SchĂ€fers in Hamburg hĂ€ngt ein historisches Schwarz-Weiß-Foto, darauf ein stattliches Gut in der Magdeburger Börde, das vor langer Zeit, wie SchĂ€fer erzĂ€hlt, mĂŒtterlicherseits in Familienbesitz war, seinen Vorfahren aber nach dem Krieg von den Russen abgenommen wurde. Als SchĂ€fer Anfang vergangenen Jahres begriff, dass er möglicherweise seinen Grund und Boden in Berlin an dreiste BetrĂŒger verlieren wĂŒrde, "da sagte ich zu meiner Frau: ›Jetzt sind wir noch einmal enteignet worden‹".

Was im Grundbuch steht, muss stimmen

Denn Johann-Conrad SchĂ€fer, gelernter Jurist und jahrzehntelang GeschĂ€ftsfĂŒhrer einer Investitionsgesellschaft fĂŒr Immobilien, wusste, was es bedeutet, wenn man im Grundbuch gelöscht wird. Man hört dann auf zu existieren. Der NeueigentĂŒmer kann mit der Immobilie machen, was er will, kann sie mit einer Grundschuld belasten, kann sie an eine Holding weiterverkaufen, in Liechtenstein oder auf den Bahamas etwa.

Entsprechende BemĂŒhungen hatten die BetrĂŒger bereits unternommen. WĂ€re der Weiterverkauf gelungen, "hĂ€tten wir unser Haus nie wiedergesehen", sagt SchĂ€fer heute. Denn ein ZweitkĂ€ufer, der vom Betrug nichts weiß, kann sich darauf berufen, das Objekt im "guten Glauben" erworben zu haben - schließlich gab es einen rechtsgĂŒltigen Eintrag im Grundbuch. Und was im Grundbuch steht, muss stimmen.

Haus ohne HĂŒter: Die Immobilie der SchĂ€fers in Berlin-Friedrichshain
Foto: Johann-Conrad SchÀfer

Wie alles begann, warum es das Haus der SchĂ€fers traf, wer die Idee hatte zu der krummen Tour, das haben die Ermittler noch nicht völlig entrĂ€tselt. Aber klar ist laut Anklage, dass im FrĂŒhjahr 2019 in Berlin der GeschĂ€ftsmann Rainer Groß und der Anwalt Stefan G. zusammenkamen, um eine Treuhandgesellschaft des Namens "Voigtstraße 41 Grundbesitz mbH" zu grĂŒnden, mit Stefan G. als GeschĂ€ftsfĂŒhrer. Groß hatte laut Aussage von G. "ĂŒber einen Makler, S., Kontakt zu den EigentĂŒmern des GrundstĂŒcks und wolle dieses erwerben", so heißt es in den Ermittlungsakten, die dem SPIEGEL und SPIEGEL TV (Montag, 18.10., 22.35 Uhr, RTL) exklusiv vorliegen. Die Gesellschaft wurde am 5. Juli 2019 tatsĂ€chlich ins Leben gerufen, beurkundet von einem Notar namens M.

Es gibt in dieser Geschichte diverse weitere Notare, Makler, Beamte, Bankenvertreter und AnwĂ€lte, die plötzlich als Nebenfiguren auftauchen, an einem RĂ€dchen drehen, eine GebĂŒhr kassieren und wieder verschwinden, manche von ihnen werden von der Staatsanwaltschaft in abgetrennten Verfahren ebenfalls verfolgt, andere nicht.

Es ist nicht klar, wie viele und welche Akteure mit den Angeklagten unter einer Decke steckten und welche sich ihrerseits haben tĂ€uschen und benutzen lassen, um irgendeinen Stempel unter ein Papier zu setzen oder eine Unterschrift zu beglaubigen. Schon am 12. Juli 2019 jedenfalls wird unter der "Urkundenrolle Nummer 1352/ 2019" ein Kaufvertrag abgeschlossen. Anwalt Stefan G. "nachstehend ›Erwerber‹ genannt", tritt als KĂ€ufer auf, die SchĂ€fers werden als "VerĂ€ußerer" aufgefĂŒhrt. Da sie naturgemĂ€ĂŸ nicht anwesend waren, erklĂ€rt sich Stefan G. an ihrer statt zum "vollmachtlosen Vertreter". Ein vollmachtloser Vertreter kann Beurkundungen fĂŒr Dritte abschließen, wobei der Vertrag erst gĂŒltig wird, wenn die Vertretenen den Vorgang im Nachhinein schriftlich genehmigen. Dass Anwalt G. damit gleichzeitig KĂ€ufer und VerkĂ€ufer der Immobilie vertrat, scheint niemanden gestört zu haben. Das SchriftstĂŒck trĂ€gt Siegel und Schnur des beurkundenden Notars.

Da das Mietshaus, eine attraktive Immobilie mitten in Berlin, mit einem marktfremden Preis von 250.000 Euro mehr verschenkt als verkauft wurde, schrieben die BetrĂŒger als ErklĂ€rung in den Vertrag, dass das GebĂ€ude "durch Hausbesetzer genutzt" werde, sich "in einem verwahrlosten Zustand" befinde und "einen erheblichen Instandhaltungsstau" aufweise. Nichts davon ist wahr. SpĂ€ter, als das Grundbuchamt zunĂ€chst leise Zweifel an dem Handel anmeldete und auf Formfehler hinwies, rechtfertigte Anwalt G. den 10- bis 20-fach zu tiefen Preis damit, dass die Immobilie mit betrĂ€chtlichen Schulden belastet sei und er von den Vorbesitzern "Verbindlichkeiten in Höhe von 3.500.000 Euro" ĂŒbernommen habe. Auch das war frei erfunden.

Beleidigend schlecht gefÀlschte Unterschriften

Dann folgte der frivolste Akt in diesem Zig-Millionen-Euro-Schwank. Am 19. Juli 2019 erschien vor einem weiteren Berliner Notar, G., ein Ă€lterer Mann und am 24. Juli eine Ă€ltere Frau, IdentitĂ€t bis heute unbekannt, die sich als Johann-Conrad SchĂ€fer und Hiltrud Marschner-SchĂ€fer ausgaben. Auf den Fotos der gefĂ€lschten Personalausweise, die sie dabei vorwiesen, sehen sie kein bisschen so aus wie das Hamburger Hausbesitzerpaar, das sie mimten. Ihre Unterschriften, wie von GrundschĂŒlerhand gekritzelt, sind geradezu beleidigend schlecht gefĂ€lscht - bei ihr fehlt das "Dr." vor dem Namen, das die echte Ärztin nie vergisst, bei ihm stehen die Initialen "J. C." vor dem "SchĂ€fer", die er nie verwendet. Als fiktive Anschrift des in Hamburg wohnhaften Ehepaars wĂ€hlten die Beschuldigten aus unerfindlichen GrĂŒnden die Cuvrystraße 9 in Berlin-Kreuzberg, ein "heruntergekommenes Objekt", wie Ermittler spĂ€ter festhielten, "in dem sich unter anderem ein Bordell befindet".

Aus den Ermittlungsakten: Oben die gefÀlschten, unten dreimal die echten Unterschriften der SchÀfers
Foto: Handout

Warum die Beglaubigung des Papiers dennoch gelingen konnte, fragten die Ermittler spĂ€ter den verantwortlichen Notar G. Solche Routinetermine seien "nur kurz", rechtfertigte sich dieser in der Vernehmung, er sage dabei den Erschienenen bloß, dass er selbst den Vertrag, um den es geht, nicht kenne, und frage dann bei den Kunden nach, "ob sie wissen, was hier beglaubigt wird. Danach unterschreiben die Personen und gehen wieder". In der Hand haben sie ein Dokument, auf das sich die nĂ€chste Instanz blind verlĂ€sst. So antwortete die Rechtspflegerin P., die am Ende die Umschreibung im Grundbuch eintrug, den Ermittlern auf die Frage, ob sie die neuen Unterschriften der SchĂ€fers denn nicht mit den alten verglichen habe: "Nein, das mache ich nicht. DafĂŒr habe ich ja den Notar, der mir sagt, dass alles in Ordnung ist." Es scheint erstaunlich einfach, die erforderlichen Stellen in Berlin zu tĂ€uschen.

Am 10. Oktober 2019 stellte das Finanzamt Spandau eine Unbedenklichkeitsbescheinigung aus, eine weitere Voraussetzung fĂŒr den EigentĂŒmerwechsel. Schließlich hatte Anwalt Stefan G. ordnungsgemĂ€ĂŸ die Grunderwerbsteuer von 15.000 Euro bezahlt.

Und was haben die Abou-Chaker-BrĂŒder mit allem zu tun? Ihnen wird vorgeworfen, schon bei der Planung beteiligt gewesen zu sein. Sie sollen zudem die SchĂ€fer-Doubles und die gefĂ€lschten Ausweise organisiert haben. Ihre AnwĂ€lte, wie auch jene der weiteren mutmaßlich Beteiligten, wollen sich nicht zu den VorwĂŒrfen Ă€ußern.

Lauschangriff der Ermittler auf eine Shishabar

Dass die ClanbrĂŒder ihre Finger im Spiel hatten, fanden die Ermittler eher zufĂ€llig heraus. Bereits seit September 2019 hörte die Polizei fĂŒr mehrere Monate eine Berliner Shishabar ab. Deren Betreiber, der Kurde Yakup S., stand im Verdacht des illegalen Waffenhandels, die GaststĂ€tte galt laut Ermittlern als eine Art Kreativwerkstatt fĂŒr organisiertes Verbrechen. Als Beifang der mehrere Hundert Stunden langen Abhördateien bekamen die Fahnder mit, wie sich die Angeklagten Rainer Groß und die Abou-Chaker-BrĂŒder immer wieder mit Yakup S. im CafĂ© trafen und dabei den Immobiliendeal besprachen.

Die umfangreichen Protokolle dieser Überwachungsaktion bieten einen seltenen Einblick in klandestine GesprĂ€che in der Halbwelt. So erzĂ€hlt einer der MĂ€nner zu einem frĂŒhen Zeitpunkt bewundernd von dem Immobiliencoup: "(Er) hat einen Grundbucheintrag auf seinen Namen machen lassen. So etwas ist doch nicht möglich! Das ist dein Haus, du hast keine Ahnung, du bist in Westdeutschland, fuck!, guckst bei der Grundbucheintragung nach, fuck!, und auf einmal steht er drin!"

Auszug aus dem Grundbuch Friedrichshain: Die SchĂ€fers sind gelöscht, die GmbH der mutmaßlichen BetrĂŒger ist als NeueigentĂŒmerin eingetragen
Foto: Jörg MĂŒller / DER SPIEGEL

Auf einmal standen sie drin, die Neubesitzer. Und so diskutieren die MÀnner bald erwartungsfroh die spÀtere Aufteilung der möglichen Gewinne:

Rabih Abou-Chaker: "… weil wir das zu dem Zeitpunkt fĂŒr 6 berechnet haben, aber wenn das jetzt 12 Millionen wert ist, 15 Millionen."

Yakup S.: "Wir brauchen keine Summe zu nennen, wir bleiben bei prozentual. Alles, was kommt, ihr kriegt 50 Prozent, Rainer kriegt 50 Prozent, und Rainer gibt mir 33 Prozent ab, ob das fĂŒr 2 verkauft wird oder fĂŒr 10. Ist das ein Deal?

Rainer Groß: "Das geht so nicht, Yakup. Das geht deswegen so nicht, weil ich hab es vorbereitet."

Die GesprĂ€chspartner ahnten zu diesem Zeitpunkt nicht, dass der Brief der Feuerversicherung schon bei den SchĂ€fers angekommen war. Und sie hatten offensichtlich damit gerechnet, mit einem betagten Rentnerpaar im fernen Hamburg leichtes Spiel zu haben - doch sie gerieten bei den SchĂ€fers an die Falschen. Innerhalb weniger Tage schreckte der Jurist und Immobilienfachmann Johann-Conrad SchĂ€fer die Behörden auf, schickte seine AnwĂ€lte los, manche der AntrĂ€ge schrieb er gleich selbst, und erreichte so bald den Eintrag eines Widerspruchs im Grundbuch. Das Haus durfte damit bis zur KlĂ€rung der VorwĂŒrfe nicht weiterverkauft oder mit Schulden belastet werden.

Als der ganze Plan nun zu scheitern drohte, wurden die GesprÀche in der Shisha-Bar melancholischer.

28. Januar 2020, Mohamad Abou-Chaker: "Das böse Erwachen war ja Anfang Januar. Da kam ja das böse Erwachen."

Rainer Groß: "Weißt du, wenn wir heute, wenn wir heute die Uhr zurĂŒckdrehen könnten, dann wĂŒrde man ĂŒberlegen, es anders zu machen, wie mit dieser Versicherung. Ich geb dir recht in diesem Punkt."

Rabih Abou-Chaker: "Danke."

Rainer Groß: "Aber du musst mir auch recht geben, wenn die Unterschriften nicht so außergewöhnlich falsch gewesen wĂ€ren, hĂ€tte der die einstweilige VerfĂŒgung nie bekommen."

Mohamad Abou-Chaker: "Wer weiß. Dann hĂ€tte trotzdem ein Strafverfahren frĂŒhzeitig …"

Rabih Abou-Chaker: "Wenn die Versicherung, wenn die Unterschrift noch top wÀren, eins zu eins, wÀr trotzdem es aufgeflogen."

Die MÀnner geben zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nichts verloren. Yakup S. muntert die anderen auf: "Einen Augenblick mal kurz, Rabih. Okay? Es ist passiert. Die Frage ist doch nur: Was ist die Lösung?"

Als mögliche Lösung fĂ€llt den MĂ€nnern ein, ins Grundbuchamt einzubrechen oder dieses gleich in Brand zu stecken, um die Originalakte zu vernichten und damit, so ihre Hoffnung, auch den Widerspruch aus der Welt zu schaffen, der ihnen die HĂ€nde bindet. Diskutiert wird zudem das bizarre Ansinnen, die echten Ausweisnummern der GeschĂ€digten zu besorgen und mit diesen nachtrĂ€glich die Vertragsunterlagen zu korrigieren. Damit, so der Gedanke in der Shishabar, sollte suggeriert werden, dass tatsĂ€chlich die echten SchĂ€fers den Kaufvertrag genehmigt hĂ€tten und nicht irgendwelche DoppelgĂ€nger. Um an die realen Ausweise zu kommen, wird erwogen, die SchĂ€fers in Hamburg zu ĂŒberfallen.

SchĂ€fer zu BetrĂŒger: "Sie sind ein Dilettant!"

Nichts davon passiert, zum GlĂŒck. Stattdessen versuchen die BetrĂŒger Monate spĂ€ter noch, als der Zivilprozess um die RĂŒckgabe der Immobilie lĂ€uft und ihnen die Felle davonschwimmen, die SchĂ€fers zu einer gĂŒtlichen Einigung zu bewegen. Mehrfach ruft der GeschĂ€ftsmann Rainer Groß, damals noch auf freiem Fuß, in Hamburg an. Er fragt die SchĂ€fers, ob sie in ihrem fortgeschrittenen Alter den langen und teuren Prozess wirklich auf sich nehmen wollten. Er schlĂ€gt sogar vor, ihnen das Objekt zu einem, wie er sagt, "sehr interessanten Preis" tatsĂ€chlich abzukaufen - obwohl er das Haus ja laut Grundbuch bereits erworben hat. Einmal ruft SchĂ€fer, entnervt von den absurden Angeboten, in den Hörer: "Sie sind ein Dilettant!"

FĂŒr die SchĂ€fers waren die Zumutungen noch lange nicht vorbei. Die Gegenseite gab das Haus, fĂŒr das sie als EigentĂŒmer nun mal eingetragen war, nicht kampflos wieder auf. Der Anwalt, der die "Voigtstraße 41 Grundbesitzgesellschaft mbH" vor dem Zivilrichter vertrat, versuchte die Klage der SchĂ€fers mit der bemerkenswerten Strategie abzuwenden, dass "die KlĂ€gerin" - also die SchĂ€fers als EigentĂŒmer der Immobilie - ja gar "nicht mehr existiere", weil eben im Grundbuch gelöscht. Die Klage sei deshalb "unzulĂ€ssig", die SchĂ€fers "nicht mehr parteifĂ€hig".

Am Ende bekamen die real existierenden SchĂ€fers ihr real existierendes Mietshaus wieder zurĂŒck - und seit April dieses Jahres stehen auch ihre Namen wieder im Grundbuch. Die Kosten fĂŒr die Umschreibung, 6195 Euro, stellte die Berliner Behörde den SchĂ€fers in Rechnung.

Mehr als 140.000 Euro haben die SchĂ€fers nach eigenen Angaben beim Kampf um ihr Haus ausgegeben, fĂŒr AnwĂ€lte und Gerichtskosten. Zwar haben sie den Zivilprozess gewonnen, womit die Verfahrenskosten den Verlierern aufgebĂŒrdet werden - aber wenn dort, wie in diesem Fall, "nichts zu holen ist, dann ist eben nichts zu holen", sagt SchĂ€fer. Das Einzige, was er sichern konnte, waren die 15.000 Euro Grunderwerbsteuer, die ließ er beim Finanzamt Spandau pfĂ€nden. DarĂŒber hinaus bereiten die SchĂ€fers derzeit eine Schadenersatzklage gegen das Grundbuchamt vor.

Im Dezember 2020, die Ermittlungen dauerten bald ein Jahr, nutzte die Polizei ihre Erkenntnisse zu einem Rundumschlag. Die Großrazzia erregte bundesweit Aufsehen, rund 500 teils schwer bewaffnete EinsatzkrĂ€fte durchsuchten in Berlin, Brandenburg und Hamburg ĂŒber 30 Objekte. Es ging dabei um weit mehr als nur den Hausbetrug in Berlin, die VorwĂŒrfe lauteten auf Bildung einer kriminellen Vereinigung, Drogenhandel, GeldwĂ€sche. Drei Haftbefehle wurden dabei auch vollstreckt: gegen Rainer Groß und die Abou-Chaker-BrĂŒder.

Mai 2021, ein Prozesstag im Verfahren um den Immobilienbetrug an der Voigtstraße am Berliner Kriminalgericht in Moabit
Foto: Olaf Wagner

Letztere haben an einem der jĂŒngsten Prozesstage, wĂ€hrend die Sonne durch die ausbruchsicheren Fenster des Saals 500 schien, ĂŒber ihren Anwalt einem "VerstĂ€ndigungsvorschlag" der Staatsanwaltschaft zugestimmt - also einem Deal. Statt fĂŒr zehn Jahre, wie angedroht, mĂŒssen sie nur fĂŒr rund vier bis sechs Jahre in Haft, sofern sie ĂŒberzeugende "AufklĂ€rungshilfe" leisten, die zur "tatsĂ€chlichen Aufhellung des TĂ€terumfelds" fĂŒhrt, wie der Richter sie ermahnt. Die BrĂŒder haben angekĂŒndigt, den schweren Betrug einzurĂ€umen. Wie sie im Detail vorgegangen sind, wollen sie angeblich vom 26. Oktober an vor Gericht darlegen. Die Staatsanwaltschaft hofft auf weitere FĂ€nge im Clanmilieu.

Und das Haus? Das steht da, wo es schon immer stand, an der Voigtstraße in Friedrichshain. Kinder rennen an einem Herbstnachmittag ĂŒber den Gehsteig, die Nachbarschaft besteht aus dem ĂŒblichen Berliner Urbaninventar mit Dönerimbiss, Handyshop und Nagelstudio. Es ist ein schönes Haus. Nur einen Neuanstrich könnte es mal wieder vertragen und jemanden, der die Graffiti an der Front ĂŒbertĂŒncht.

Die meisten Mieter der rund 20 Wohnungen haben vom Gezerre um ihre vier WĂ€nde nicht viel mitbekommen. Und als die "Voigtstraße 41 Grundbesitzgesellschaft mbH" sich im Dezember 2019 in einem Brief als NeueigentĂŒmer vorstellte und darum bat, die Mieten bitte kĂŒnftig auf ihr Konto zu ĂŒberweisen, ignorierten die Bewohner das einfach. "Kein Einziger", sagt Johann-Conrad SchĂ€fer mit einem LĂ€cheln, "hat je einen Euro an die BetrĂŒger gezahlt."


Quelle: DER SPIEGEL


© infos-sachsen / letzte Änderung: - 16.01.2023 - 17:06